Sonntag, 14.11.2021

So etwas wie Normalität

Eben hat mich jemand gefragt, wie lange ich schon hier bin und ich hatte die Antwort wohl zum ersten Mal nicht „griffbereit“. Gerade hab ich dann nochmal nachgezählt – es sind jetzt fast auf den Tag 4 Monate. Das hat mich irgendwie überrascht. Fühlt sich (viel?) länger an.
Meine Zeit hier teile ich oft unbewusst in verschiedene Phasen ein. Jede einzelne verbinde ich intuitiv mit einem gewissen „Lebensgefühl“. Zuerst waren da die Wochen im Sommer, die ich noch bei Paul und Ruth verbracht habe. Trotz der schwierigen Wohnsituation verbinde ich diese Zeit mit einem Urlaubsgefühl – das Wetter war oft warm und sonnig, ich habe das Möwengeschrei noch sehr bewusst wahrgenommen, hatte keine großen Verpflichtungen (niemand wollte so recht was von mir, ich musste nicht einkaufen, putzen, die Arbeit war noch ruhig etc.) und ich war super viel draußen, hab gelesen und Podcast gehört. Oh Gott, das fühlt sich echt wie eine Ewigkeit her an! Dann kurz nach dem Umzug fing die Besucher- und Lidl-Event-Zeit an. Die Wochen war ich privat echt super unter Strom (um nicht zu sagen „gestresst“), aber es war auch schön und ein beinahe vergessenes Gefühl, ständig was vor zu haben, unter Leuten oder unterwegs zu sein, Dinge zu organisieren und vorzubereiten. Die letzten Wochen, seit Mama und Frank abgereist sind, standen gefühlt extrem unter dem Licht der Arbeit. Wohl auch, weil ich privat etwas weniger Ausgleich hatte, zumindest unter der Woche. Ich glaube, allmählich „setzt“ sich alles, ist nicht mehr ganz so aufregend.
Mit jeder dieser Phasen verbinde ich im ersten Moment ein gutes Gefühl. Wenn ich genauer drüber nachdenke, ist das natürlich nur die halbe Wahrheit, denn jede hatte durchaus auch ihre Schattenseiten. Aber das kann mein Schlaukopf zum Glück ganz gut – die schlechten Dinge einfach ausblenden und sich immer erst an die schönen Dinge erinnern!

So, das die heutige Portion an Ausflügen in meine Gedankenwelt – zurück zu den Erlebnisberichten. Die fallen aber nicht ganz so spektakulär aus heute. Ich glaube, die letzten zwei Wochen waren die normalsten, die ich bisher hier hatte, wenn man es so nennen will. Auf der Arbeit war (und ist) es absolut haarsträubend, aber ich fürchte, das muss ich langsam auch einfach als mein Normal annehmen. Ein bisschen mehr Ruhe dürfte da für meinen Geschmack aber wirklich gerne ganz bald einkehren…
Letzte Woche Freitag habe ich endlich wieder mit dem Laufen angefangen. Ich hab noch keine richtige Regelmäßigkeit wieder drin, aber der erste Schritt ist definitiv getan. Am Montag war ich auch nochmal mit Sarah laufen, die hat sich nun (auch) vorgenommen, unsere eigentlich fest eingeplanten zwei wöchentlichen gemeinsamen Laufeinheiten auch wahrzunehmen. Hat schon nicht geklappt diese Woche, aber ich hoffe trotzdem, dass wir uns da gegenseitig auch in den Hintern treten können. Was gerade wirklich erstaunlich gut klappt bei mir sind regelmäßige Yoga-Einheiten. Ich hab bald 4 Wochen mit täglichem Yoga voll, yeahy!

Letzte Woche Samstag habe ich Shane, Fran, Sabrina und Dennis für eine kleine Wanderung zusammengetrommelt. Shane war wieder sehr hilfreich bei der Planung, weil er einfach wirklich viele lohnenswerte Orte kennt. Wir waren uns aber auch angesichts des eher bescheidenen Wetters alle einig, dass es diesmal nichts Großes werden sollte. Ein paar Nachrichten am Freitagabend und hin her und der Plan stand: Samstag, 10 Uhr am Parkplatz zum Hellfire Club. (Als Shane das vorschlug, war ich erst deutlich verwirrt – ich wollte doch wandern gehen und nicht in einen Club??!). Shane und Fran waren auch mehr als pünktlich vor Ort, was für Iren (und vielleicht auch für Brasilianer) recht untypisch ist. Wir haben uns dann ebenso untypisch verhalten, Shane fast es wie folgt zusammen: „German punctuality is a myth!!!“. Wir drei Deutschen kamen nämlich geschlagene 25 Minuten zu spät am Parkplatz an, weil Dennis dank Kater erst nicht rechtzeitig aus dem Bett kam und ich mich dann noch verfahren hatte. Wir sind dann trotzdem alle fünf gut gelaunt den kleinen Hügel in den Dublin Mountains hoch spaziert und haben uns die Ruine angeguckt. Auf dem Weg nach oben hatte Fran uns mit beinahe schon kindlichem Frohmut stolz die Geschichte rund um den „Hellfire Club“ erzählt: Der Hügel selbst heißt eigentlich anders, ist im Volksmund aber überall unter diesem Namen bekannt, weil im 18. Jahrhundert ein reicher Mann auf dem Gipfel ein Haus/eine kleine Burg hatte bauen lassen, um dort in erlesener Runde Feste zu feiern und vor allem satanistische Rituale zu vollziehen. Selbstverständlich soll es deswegen heute in der Ruine spuken. Vor allem wenn man rückwärts um das Gebäude herumläuft soll man Geister sehen können. Shane hat es voller Eifer ausprobiert. Es hat nicht geklappt. Sehr enttäuschend. Ansonsten hatten wir aber wieder einmal einen tollen Ausblick über die Stadt und die große, offene Wiesenfläche regte Sabrina und mich zu Sommer-Picknick-Träumereien an.

Nach gut 1,5 Stunden waren wir schon wieder zurück an den Autos und bei Kaffee vom Food-Truck wurde noch ein wenig weitergeplaudert. Unsere neu zusammengemischte Gruppe hat echt super harmoniert. Es war unaufgeregt schön. Daher haben wir uns beim Abschied auch locker dazu verabredet, uns alle später für ein paar Drinks wiederzusehen.
Gesagt und (fast) getan haben wir uns abends am Kino wiedergetroffen und den neuen Marvel Film „The Eternals“ geguckt. (Ich wollte schon seit Woooochen irgendwie unbedingt mal ins Kino. Gar nicht, weil ich einen bestimmten Film sehen wollte, sondern einfach so für das Gefühl. Kann das irgendwer nachvollziehen oder bin ich nur komisch???) Anschließend ging es in Sabrinas absoluten Lieblings-Pub, der einzigen Metalbar in Dublin. An diesem Abend gab’s sogar Live-Musik, die war aber definitiv mehr Funk als Metal. Für mich war es irgendwie noch ziemlich komisch, in so einem engen, geschlossenen Raum mit so vielen Leuten zu sein und das auch noch ohne Maske. Wenn ich drüber nachdenke, halte ich das vermutlich auch gar nicht mal für so schlau. Aber das hab ich in dem Moment einfach nicht gemacht, drüber nachgedacht.
Den Sonntag habe ich dann sehr entspannt mit einem ausgiebigen Spaziergang und Telefonat mit Mama, mit kleinen, ersten Weihnachtsvorbereitungen und viel auf der Couch verbracht.

Dieses Wochenende war eine ähnlich gute Mischung aus Entspannung und Unternehmung. Am Freitagabend habe ich lange mit einem guten Freund telefoniert und den Samstag wieder viel im Bett/am Laptop verbracht. Aber ich war auch brav joggen und Jane und Ruth hatten mich zum Mittagessen eingeladen. Sie hatten den ganzen Tag Fotoshooting für ihre Winterkollektion (hab ich schon mal erwähnt, dass die zwei eine eigene Modelinie haben?) bei uns im Wohnzimmer mit einer Freundin und hatten eh noch was übrig. Das war echt ne schöne Abwechslung, das Mittagessen in unverfänglicher Mädelsrunde. So ähnlich ging es gestern Abend auch weiter. Da war ich bei Sarah zu Cheeseboard und Wein eingeladen. Sie hat zwei Freundinnen aus Deutschland (eine davon ist aber Irin) zu Besuch und Alana war auch mit von der Partie. Das war ein herrlich entspannter Abend, mit ABBA Musik, gutem Essen und einigen herzhaften Lachern.

Ich muss zugeben, ich war ein wenig skeptisch, wie es mir gefallen würde. Ich bin da ja leider oft recht unentspannt und wenig spontan, wenn es um soziale Veranstaltungen in unbekanntem Umfeld mit mir unbekannten Leuten geht. Oh Gott, das klingt echt traurig. Aber naja, ist nun mal so. Dass die vier sich untereinander alle kannten und zum Teil sehr eng befreundet sind, hat es in meiner Vorstellung nicht einfacher gemacht. Aber wie das dann immer so ist: Wenn man seine Komfortzone (in diesem Fall wortwörtlich mein Bett) verlässt, wird man meistens dafür belohnt. Ich bin sehr froh, dass Sarah mich eingeladen hat und dass ich dort war!
Heute stand wieder eine Erkundungstour auf der Tagesordnung. Dennis hatte seine Mutter und ihrem Partner zu Besuch und ich hab einfach alle drei in mein Auto gepackt und ein Stück ins Landesinnere gefahren. Erster Stopp war der Hill of Tara, der hat uns aber schwer enttäuscht. Das scheint wohl mal ein Königssitz und gleichzeitig eine Grabstätte gewesen zu sein, aber irgendwie haben wir es nicht so ganz verstanden und es war auch echt total unspannend anzusehen. Aber ein wenig durch’s Grün spaziert sind wir in jedem Fall und Ute und Jörn haben sich deutlich an der irischen Unberührtheit der Natur und Historie erfreut. Unser zweiter Stopp führte uns in das Städtchen Trim, wo es mitten im Ortskern eine Burgruine gibt. Die fand ich wiederum ziemlich beeindruckend. Überraschend klein zwar, aber vor allem die Burgmauer war auf spannende Weise zerfallen und man konnte gut sehen, wie dick und vielschichtig die Mauer mal gewesen ist. Dann gab’s Mittagessen im Café des Trim Castle Hotels und schließlich haben wir die zwei zum Flughafen gebracht. Sie haben sich über diesen kleinen Ausflug aus der Stadt raus zum Abschluss ihrer Kurzurlaubs wirklich gefreut und ich habe die Zeit mit ihnen und vor allem mit Dennis auch sehr genossen. Er ist einfach einer dieser absolut unkomplizierten Menschen, mit denen man rumalbern, Musik hören, singen, aber auch schweigen und über bewegende Themen sprechen kann. Sehr wohltuend, so jemanden braucht jeder in seinem Leben!

      

Definitiv ein weiteres Highlight diese Woche: ein Paket, das mich am Freitag erreicht hat! Sie hat es wieder getan – die beste Mama der Welt hat wieder zugeschlagen! Sie hat mir einen Adventskalender gebastelt und zugeschickt und ich hab mich riesig gefreut. Außerdem waren in dem Paket auch noch ein Nikolaus-Geschenk von Papa und eine kleine Überraschung „einfach so“ von meiner Patentante und Omi. Soooo schön! Nochmals tausend Dank an euch Vier!!!
Den krönenden Abschluss hat dann noch eine Wärmflasche gemacht, die wurde schon schmerzlich vermisst.

So, last but not least habe ich ja im letzten Eintrag von einer Entscheidung gesprochen, die Sarah noch von mir erwartet. Die Sherlocks unter euch haben sich da vielleicht schon zusammengereimt, dass es dabei um die Dauer meines Aufenthalts hier geht. Es ist inzwischen schon einige Wochen her, dass sie mich gebeten/gefragt hat, ob ich länger bleiben würde. Meine Meinung dazu hat sich in den Wochen mal mehr mal weniger drastisch geändert. Ich bin aber ja auch eh nun wirklich nicht dafür bekannt, gut Entscheidungen treffen zu können. Aber kommt Zeit, kommt Rat. Mit der Zeit hat sich bei mir eine Bauchgefühl-Entscheidung eingestellt, das hat sich gut angefühlt. Hehe, mir hat auch mal jemand gesagt, das Bauchgefühl einer Frau trügt nie! Abgeschlossen ist die Sache aber leider irgendwie trotzdem noch nicht 100%ig. Denn gutes Bauchgefühl hin oder her, wer mich kennt, weiß, dass man mich logischen Argumenten da leider schnell wieder aus dem Tritt bringen kann…
Ich werde mit aller Wahrscheinlichkeit um einen Monat (bis Ende März) verlängern. Meine „Diskussion“ mit Sarah bezüglich einer längeren Verlängerung ist aber noch nicht ganz abgeschlossen. Grundsätzlich nicht (von ihr aus) und es stehen gerade auch im Rahmen des Projekts ein, zwei Dinge im Raum, die meine Meinung eventuell nochmal ändern könnten. Ich bin ein wenig verunsichert wieder aktuell. Mal sehen, was draus wird!

 

Lied der Woche: Billy Joel - Piano Man