Montag, 20.09.2021

Galway Girl

Nur knapp 5 Tage ist es her, dass ich Anna am Flughafen verabschiedet habe und schwupps, steht schon der nächste vor der Tür - im wahrsten Sinne des Wortes. Michael, ein sehr guter und langjähriger Freund, ist mein nächster Besucher und hat sich an diesem Freitagmittag schon vom Flughafen mit den Öffentlichen bis zu meiner Haustür durchgeschlagen. Wieder ist der Empfang etwas chaotisch, weil ich heute zwei Präsenztermine im Büro habe und nicht von zuhause arbeiten kann. Ich düse also in der Mittagspause von Tallaght nach Hause, es gibt eine kurze Begrüßungsumarmung und Wohungstour, Schlüsselübergabe und dann dann lasse ich Michael erstmal wieder alleine. Aber um ihn mache ich mir da wirklich überhaupt keine Sorgen, er kann sich bestens alleine beschäftigen.
Nach der Arbeit nehme ich noch Sabrina mit zurück in die Stadt, eine neue Kollegin - Deutsche und gerade aus Schweden hierher gezogen - die ebenfalls seit gestern Abend einen Besucher hat und diesen nun auch irgendwie in der Stadt aufspüren muss. Wir parken mein Auto an meiner Wohnung und beschließen dann kurzerhand, "unsere Jungs" noch zu ein paar gemeinsamen Drinks zu entführen. Eine kurze Busfahrt, ein, zwei ausgetauschte GPS-Standorte und noch eine WhatsApp-Einladung später sitzen wir, wozu nun auch Shane und seine Freundin Fran gehören, in einem trotz der frühen Uhrzeit schon trubeligen Pub im Außenbereich und machen uns über die ersten Gläser Guiness her (okay, ich mache mich über eine Cola her...).

[Aaarrgghh! Ich dreh' hier noch durch! Es ist wieder passiert, die Website ist abgestürzt und hat meinen Fortschritt nicht gespeichert - genau wie letzte Woche. Entschuldigt bitte, wenn der folgende Teil nicht ganz so lebhaft wird, zweimal das Gleiche schreiben ist wirklich demotivierend.]

Die Gesprächsthemen sind vielfältig, alle verstehen sich auf Anhieb sehr gut, es wird gelacht, gestaunt und getrunken - ein schöner Abend. Und da man bekanntlich gehen soll, wenn es am schönsten ist, treten Michael und ich den Heimweg an, als die anderen beschließen, weiterzuziehen. Zuhause machen wir es uns mit Tee und bei guten Gesprächen noch ein Stündchen auf der Couch gemütlich und wandern dann ins warme Bettchen.

Leider nicht so erholt wie gedacht - wir haben irgendwie beide schlecht und wenig geschlafen - aber immerhin durch ein gemütliches Frühstück gestärkt, treten wir am nächsten Morgen gegen 10 Uhr unsere Reise an. Mit dem Auto geht es in Richtung Westen, genauer zu den Cliffs of Moher. Am dortigen Visitor Centre angekommen, benötigt es für uns beide ein wenig Überwindung, das warme Auto zu verlassen, die Wanderschuhe anzuziehen und loszumarschieren, aber wir wollen ja auch was sehen, also keine falsche Schwäche zeigen!
Das Wetter meint es leider nicht ganz so gut mit uns - eine dicke, graue Wolkendecke versperrt jeglichen Blick auf die Sonne und soll uns später auch noch Regen bringen. Allen Unzulänglichkeiten zum Trotz machen Michael und ich uns aber auf den Weg und laufen einen der beiden Cliff Walks an den Cliffs of Moher, den "spektakulärsten Klippen Irlands" (komisch, kommt euch diese Auszeichnung auch bekannt vor?). Tatsächlich gehören sie zumindest in jedem Fall zu den bekanntesten Klippen Irlands und sind ein absoluter Touristenmagnet. Entsprechend voll ist es auch auf dem schmalen Pfad, aber "dank" des ungemütlichen Wetters hält sich der Besucherandrang noch in Grenzen.
Mir gefällt an unserem ausgedehnten Spaziergang eher die Zeit, die wir zu zweit verbringen und die gefühlt längst überfälligen Gespräche. Die Klippen selbst sind für mich heute wieder eher nur "nett", wie der Deutsche zu sagen pflegt. Mag am Wetter liegen und daran, dass ich schon so viele Fotos gesehen habe. Ich teile ein paar meiner natürlich trotzdem mit euch:

       

Auf dem Rückweg holt uns der Regen dann ein, was mich mal wieder nervt. Aber was soll man machen. Es ist auch nicht ganz so schlimm, wir werden nur mäßig nass und größtenteils auch nur von einer Seite, weil der Wind vom Meer aus so stark geht. Zurück am Visitor Centre belohnen wir uns noch mit einem wohltuenden Heißgetränk, bevor wir die Weiterfahrt nach Galway antreten.
Die gut anderthalb stündige Fahrt ist ziemlich unterhaltsam, denn heute scheint in der ganzen Region eine Art Autorennen stattzufinden - nicht nur werden wir regelmäßig von wirklichen schicken Autos überholt, es stehen auch immer wieder kleine Menschengruppen am Straßenrand und jubeln den heranfahrenden Autos zu. Vor allem in den Ortschaften ist es lustig zu sehen, wie 12-jährige Jungs fast Purzelbäume vor Freude schlagen, wenn die "Rennfahrer" an den Ampeln mit dem Gas spielen und die Motoren aufheulen lassen (okay, es lassen sich auch genug Erwachsene erblicken, die deutlich Freude an dem Geschehen finden). Da wir aufgrund der engen Straßen eh immer mit den Rennwagen in einer Schlange fahren, lasse zumindest ich es mir nicht nehmen, das freudige Winken der Zuschauer hin und wieder zu erwidern und mir einfach einzubilden, sie würden sich über mein Erscheinen so freuen, haha.
Michael ist seinerseits zwar auch sichtlich angetan von den schnellen Autos, wird mit der Zeit aber zunehmend schweigsamer - er verträgt die kurvige Autofahrt leider nicht mehr gut. Auf eine Pause möchte er aber trotzdem verzichten, "So schlimm ist es nicht, ich kann nur leider nicht viel reden." Das verstehe ich. Ob es meine Mitsingerei, mit der ich mir meine dadurch entstehende Langweile vertreibe, aber besser macht? Fraglich...

In Galway City angekommen werden wir angenehm von unserer schnuckeligen Pension und der herzlichen (und redsamen) Gastgeberin überrascht. Uns hält es jedoch nicht lange auf unserem Zimmer, den die Mägen knurren! Michael hat für uns ein indisches Restaurant herausgesucht und eine gute Wahl getroffen. Gut gesättigt zieht es uns nach dem Essen auch wieder schnurstracks in die Pension zurück, sind wir doch immer noch etwas durchgefroren und müde. Mein Plan, mich noch kurz mit einer heißen Dusche aufzuwärmen, scheitert leider an der unfassbar schlecht regulierbaren Elektro-Dusche - bei der gibt es nämlich nur kalt oder brühend heiß. Mhmpf. Naja, dafür gibt es glücklicherweise viele Decken in meinem Bett, das hilft auch!
Michael spielt mir, sozusagen als Betthupferl, noch einige Songs von, an denen er gerade arbeitet. Die sind wirklich schön und machen mich schließlich so richtig schläfrig. Ihm scheint es ähnlich zu gehen - schon gegen halb 10 machen wir beide das Licht aus und sind wenig später eingeschlafen.

Heute wird ein guter Tag! Wir haben beide lange und gut geschlafen und die Sonne glitzert beim ersten Blick aus dem Fenster auf den regennassen Straßen. Wir packen unsere sieben Sachen, verabschieden uns nach dem irischen Frühstück wortreich von Anne (der Gastgeberin), stocken im gegenüberliegenden Supermarkt unseren Reiseproviant auf und setzen uns top motiviert wieder ins Auto - nächstes Ziel: Diamond Hill, Connemara Nationalpark.
Die Autofahrt heute ist herrlich! Ich habe dank Michael den Sportfahrmodus meines BMW für mich entdeckt, die Landschaft ist wunderschön und die Sonne strahlt am blauen Himmel. Michael kommt heute gut mit der Kurverei zurecht und macht, offensichtlich ebenso von der Szenerie angetan wie ich, schon während der Fahrt immer mal wieder Fotos. Unserer ungefähr dreistündigen Wanderung den Diamond Hill hoch und der versprochenen atemberaubenden Aussicht oben steht also nichts mehr im Weg!



Haben wir gedacht. Zumindest bis zu dem Moment als ich aus dem Auto aussteige und ein verdächtiges und erschreckend lautes Zischen höre. Ein Zischen, das von meinem Hinterreifen kommt. Ein Zischen, das sich auch erschreckend gut fühlen lässt, wenn man die Hand neben den Reifen hält. Ein Zischen, das von der Stelle im Reifen kommt, an der man ein großes, Nagel-ähnliches Etwas sehen kann. Oh man.
Ich verbringe die nächsten 45 Minuten in den Warteschleifen diverser Dienstleister und verabrede schließlich mit einem der Herren in der Leitung, dass er einen Mechaniker rausschickt, der versuchen wird, den Reifen zu reparieren. Sollte dies nicht klappen, müsse der Wagen abgeschleppt und zum nächsten BWM-Händler gebracht werden, der den Reifen aber natürlich erst morgen wechseln kann, da ja heute schließlich Sonntag ist. (Für die Schlaunasen unter euch - nein, mein Wagen hat kein Ersatzrad.) Und ach ja, einen Ersatzwagen könne ich in Galway bekommen. Während der nette Herr mir auf mein Fragen hin erklärt, wie ich denn bitte dahin kommen soll, schließlich sei ich von dort gerade gute anderhalb Stunden hergefahren, kann er es sich auch nicht nehmen lassen, mich nochmal darauf hinzuweisen: "Naja, Sie sind halt auch wirklich am letzten Ende der Welt liegengeblieben."
Michael ist bei alldem Gott sei Dank die Ruhe selbst, weswegen auch ich nur ein klein wenig in Stress verfalle. Die Wartezeit versüßen wir uns mit Kuchen/Sandwiches und einer Tasse Tee im Visitor Centre am Fuße des Diamond Hill und können in dem Innenhof dort auch noch etwas Sonne tanken. Als wir gerade wieder im Auto sind und Netflix auf dem Handy gucken wollen, kommt der Mechaniker samt Abschleppwagen schließlich an. Es dauert eine geschlagene Viertelstunde, bis er den Fremdkörper nach viel Porkelei aus meinem Reifen entfernt hat. Dieser entpuppt sich einfach nur als spitzer Stein - kein Nagel, keine Glasscherbe, ein Stein. Ich meine, was ist die Wahrscheinlichkeit...? Mit einem für mich Technik-Nulpe unfassbar beeindruckenden Trick schafft mein Retter in der Not es dann tatsächlich, das ungefähr 2-Cent-Münzen große Loch zu stopfen und zu versiegeln. Er fährt uns noch rund 25km voraus, um dann sein Werk nochmal zu prüfen, bevor er uns schließlich versichert, wir könnten so ohne Probleme bis nach Dublin zurückfahren.

        

Ungefähr dreieinhalb Stunden später sind wir wieder in Stoneybatter. Für mich gibt es (diesmal wirklich) eine heiße Dusche, wir bestellen Pizza und schauen einen Disneyfilm, dann verkrümel ich mich früh ins Bett, während Michael noch etwas aufbleibt.
Am Montagmorgen kann ich zum Glück von zuhause aus arbeiten und Michael so wenigstens noch halbwegs vernünftig bei einem weiteren Tee-Plausch verabschieden.
Sein Fazit: Er ist dankbar für die gemeinsame Zeit, die wir miteinander verbringen konnten und fand die Abwechlsung aus Pubs, Stadt, Roadtrip und Landschaft richtig gut - schlechtes Wetter und Reifenpanne hin oder her!


Song der Woche: Linkin Park - Numb