Freitag, 30.07.2021

Erste Abenteuer (Teil 1)

Guten Abend ihr Lieben,
da ich ja nun schon soooo lange in Irland bin (wir schreiben Tag 17), habe ich mir gedacht, es ist nun wirklich mal an der Zeit, ein wenig das Land zu erkunden...
Seid ihr bereit für einen Bericht über Sturzbäche, Achterbahnfahrten, wilde Knutschereien, weit entfernte Galaxien und Großstadtfeeling?

Edit: Inzwischen habe ich beschlossen, aus meinem Reisebericht drei Blogeinträge zu machen. So hab ich etwas weniger Eile, fertig zu werden, und für euch ist es nicht so viel auf einmal zum Lesen.


Do, 29.07. / Fr, 30.07 - Anreise & Carrauntoohil Climb

Meine Reise beginnt Donnerstagnachmittag, als ich um 3 Uhr nachmittags im Büro schon meine sieben Sachen zusammenpacke und mich in den Wagen setze, um Sarah, ihre Schwester Niamh und Alana auf der Strecke Richtung Kerry in Portlaoise einzusammeln. Ursprünglicher Anlass für den Ausflug war die "4 Peaks Challenge", die unser Vorstand hier ins Leben gerufen hat: Sie wollen innerhalb von zwei Tagen 4 der höchsten Berge Irlands erklimmen und dabei Geld für die zwei Partner-Wohltätigkeits-Organisationen von Lidl Irland sammeln. Natürlich haben sie alle Mitarbeitenden herzlich dazu eingeladen (oder dazu aufgerufen), ebenfalls teilzunehmen.
(Für mich lief das in etwa so: zweiter Arbeitstag, Sarah schickt mir im Chat einen Link und schreibt: "Katja! Hier, für dich!" - Ich hatte wohl kaum eine Wahl...)
Als erstes - und für mich als einziges - steht der Carrauntoohil auf dem Plan, mit 1.038m der höchste Berg Irlands. Der liegt unten im Südwesten im County Kerry, ca. 4,5 Autostunden von Dublin entfernt. Neben uns Vieren sind außerdem noch Shane und Alice mit von der Partie, zwei Teamleiter aus der Abteilung. Unser großes Glück, denn Alice hatte angeboten, dass wir im Ferienhaus ihrer Familie übernachten und so wenigstens etwas Schlaf finden könnten. Das klang dann doch deutlich verlockender als die Variante, mitten in der Nacht in Dublin loszufahren und dann gleich loszuwandern. Denn da der Vorstand am Freitag ja noch einen anderen Berg erklimmen muss, ist für den Carrauntoohil der gemeinsame Abmarsch für 5 Uhr morgens vorgesehen.

Das Ferienhaus der Familie Cox liegt super abgelegen an einem Berghang, mitten im Grünen und ist echt super schön und großräumig. Shane und Alice sind schon anderthalb Stunden früher als wir angekommen, haben in der Zeit aber eines leider noch nicht festgestellt: es kommt kein Wasser aus den Leitungen. Ein paar Anrufe bei den Eltern und den Nachbarn später steht fest, dass das Wasser aufgrund eines Lecks in einer Leitung abgestellt worden ist und erst am Freitagmorgen um 6 Uhr wieder angestellt werden soll. Tjaaa, das stellt dann doch irgendwie ein Problem dar. Alice und ich fahren also nochmal zurück in den Ort, um Wasser in größeren Mengen zu kaufen. Ihr ist die ganze Sache unheimlich peinlich. Tatsächlich sorgt dieses, naja, Hindernis, im Laufe des Abends aber noch für reichlich Lacher, als darüber debattiert wird, welche Technik nun die richtige ist, um eine Toilette mit "externem" Wasser zu spülen, wie viel Wasser man zum Duschen benötigt, wie viel Liter der Heißwassertank wohl fasst und so weiter und so weiter.
Bald ergibt sich dann noch ein weiteres Drama: Alana hat ihre Lidl-Socken vergessen. Sie trägt ihre diversen Lidl-It-Pieces wirklich immer sehr gerne zur Schau und hatte sich die Wanderung und das Posieren mit ihren Socken schon lebhaft ausgemalt. Die Ärmste ist so dermaßen enttäuscht, sie ist wirklich den Tränen nahe. Sehr amüsant hingegen ist dann aber die Vorführung ihrer "Rucksack-Jacke". Die lässt sich entweder wie ein Turnbeutel tragen oder eben in eine Regenjacke umwandeln und Alana demonstriert uns dieses Wunder der Textiltechnik bzw. dessen Anwendung mit großer Begeisterung. Wir lachen wirklich viel an diesem Abend, das ist richtig schön! Da merke ich erst, wie mir so eine Gruppendynamik und die Stimmung, die dabei entstehen kann, im letzten Jahr gefehlt hat.
Nun ja, das ganze Theater führt dann leider auch dazu, dass wir nicht wie geplant um 9 Uhr, sondern eher um 11 Uhr in unseren (sehr bequemen!) Betten liegen. Der Wecker geht um 02:45 Uhr. Und einschlafen kann ich auch nicht gleich - beste Voraussetzungen!

 

Wenige Stunden Schlaf, eine weitere gute Stunde Anfahrt und ein wenig Verzögerung später. Es ist circa 05:45 Uhr, es dämmert inzwischen, die Tourguides haben uns eingewiesen und wir beginnen unsere Wanderung. Es regnet. Oh Wunder. Dabei waren wir angesichts der Vorhersagen wirklich optimistisch, dass wir (ansatzweise) trocken bleiben würden. Außer mir scheint es aber niemanden so wirklich zu stören, dass wir falsch gehofft haben.
Auf einem steinigen Weg mit moderatem Anstieg legen wir die ersten paar Kilometer zurück. Es hört immer mal wieder für wenige Minuten auf zu regnen, aber ich hab schon genug, außerdem ist es zu allem Überfluss auch noch ziemlich windig. Was bilde ich mir auch ein, als bekennende Schön-Wetter-Wanderin an der Atlantikküste Irlands wandern zu gehen... Den Gipfel können wir auch nicht sehen, der ist von dicken Wolken verdeckt. Aber, immerhin, der Blick die Hänge rechts und links hoch und der Blick zurück sind wirklich schön und beeindruckend.

        

Das zweite Drittel des Anstiegs hat es dann in sich - der Name "Devil's Ladder" sagt wohl alles. Okay, zugegeben, wenn man schon die ein oder andere Tour in den Alpen gemacht hat, ist dieser Abschnitt nicht ganz so furchteinfößend wie er klingt. Im Gegenteil, er trifft genau meinen Wander-Geschmack.
Der untere Teil der Devil's Ladder ist gewissermaßen ein Wasserfall, sodass wir nun also auch noch von unten nass werden. Die zweite Hälfte ist einfach nur felsig, wobei sich dank des anhaltenden Regens auch hier ein kleiner Sturzbach unter unseren Füßen seinen Weg bahnt. Inzwischen bin ich unglaublich genervt vom Regen. Meine sinkende Stimmung und Motivation kann leider auch nicht durch nette Unterhaltungen gehoben werden, denn wir müssen inzwischen alle schön hintereinander gehen und der Regen auf meiner Kapuze ist so laut, dass ich ohnehin Schwierigkeiten habe, meine irisichen Kollegen zu verstehen.



Nun ja, wir schaffen es alle unversehrt die "Leiter" hoch und machen uns an das letzte Stück Anstieg, das uns noch vom Gipfel trennt. Auch hier kraxeln wir durch ein frisch entstandendes Flussbett und es regnet und regnet und regnet. Und nein, es nieselt nicht. Es regnet. An dieser Stelle möchte ich ein großes Lob an meine Wanderschuhe aussprechen, die trotz des vielen Wassers von unten die bisherigen 2 Stunden dicht gehalten haben. Aber jetzt kapitulieren sie auch - meine komplett durchnässte Hose und der Regen sorgen schließlich doch dafür, dass sich meine Schuhe in Pfützen verwandeln, denn das Wasser kommt einfach von oben rein... So ist es wohl kein Wunder, dass mir einer der Tour-Guides beim nächsten Stopp nicht so recht abkaufen will, dass es mir "großartig" geht. Er freut sich aber, eine Deutsche mit Sinn für Humor anzutreffen. Alana pflichtet mir mit einem Lachen schließlich auch noch bei und erklärt: "Katja has only been in Ireland for two weeks now. She's having a great time!"

Die Gruppe (wir sind im Übrigen 28 Lidl-Mitarbeitende aus ganz Irland, sprich auch aus den Filialen und den Zentrallagern) wird zunehmend schweigsamer. Selbst als das Gipfelkreuz dann sehr unvermittelt vor uns auftaucht, hält es sich mit der Begeisterung bei den meisten in Grenzen. Allen ist inzwischen auch kalt, da uns der Wind zusätzlich zusetzt, vor allem, wenn wir stehen bleiben. Ausblick ist auch nicht, inzwischen können wir keine 50m weit mehr gucken. Ein, zwei Leute schaffen es aber, irgendwie ihre nassen Touchscreens zu bedienen und Fotos zu machen. Sehenswert sind die aber wohl alle nicht geworden.

Mehr oder weniger ohne Umscheife, aber vom kurzen Stopp trotzdem frierend, treten wir den Rückweg an. Zunächst so wie wir gekommen sind, am Einstieg zur Devil's Ladder führen uns die Guides dann aber vorbei, um uns einen etwas seichteren, aber trotzdem nicht wenig anspruchsvollen Abstieg zu ermöglichen. Ich bin wirklich fertig mit der Welt. Tatsächlich schafft mich die Wanderung körperlich auch viel mehr als ich erwartet habe. (Ich muss auch sagen, für mein Gefühl rennen wir total. Also wirklich unangenehm schnell. Und jeder, der schon mal mit mir wandern war, weiß, dass ich selbst normalweise nicht unbedingt im Sonntags-Spaziergang-Tempo unterwegs bin.) Für den seichten Abstieg müssen wir auch erst nochmal ein Stück den gegenüberliegenden Berg hoch, die Sichtweite liegt inzwischen ca. bei 25m und die Gruppe hat sich auseinandergezogen.


Ein letztes Mal lächeln für die Kamera!

Am Bergkamm klotzt der Wind dann nochmal richtig rein: Ich bin mir sehr sicher, dass das mit Abstand der stärkste Wind war, in dem ich je stand. Wir "Mädels" können uns im wahrsten Sinne kaum auf den Beinen halten und müssen uns richtigen gegen den Wind lehnen. Immer wenn ich dann auf dem weiterhin sehr felsigen Weg mal einen Schritt anders setzen muss als geplant, wirft mich der Wind komplett aus dem Gleichgewicht (ja, es fühlt sich wirklich an wie werfen, oder sagen wir, schubsen).
Der Wind wird zum Glück weniger, je weiter wir es runter schaffen. Aber... Hatte ich erwähnt, dass es regnet? Mich verlassen allmählich sowohl meine körperlichen als auch meine mentalen Kräfte und so passiert, wovor de Guides die ganze Zeit eindringlich gewarnt haben: Ich bin etwas unkonzentriert, stolpere und falle. Na toll, auch das noch. Immerhin, dass ich deswegen zwischenzeitlich komplett in einer Pfütze sitze, macht mir viel weniger aus als es das sonst tun würde. Ich bin eh bis auf die Haut durchnässt. Leider bin ich aber blöd auf's Knie gefallen und meine Wade hat gekrampft. Was soll ich sagen, das macht den restlichen Rückweg nicht gerade angenehmer.
Alice war bei meiner kleinen Stunteinlage noch direkt hinter mir, setzt sich jetzt aber auch ab. Die anderen Vier sind schon seit einer Weile für mich nicht mehr in Sichtweite. Ich verbringe daher die letzte Stunde damit, mich, den Regen, den Berg, das Land und überhaupt diese ganze dämliche Auslandsgeschichte hier zu verfluchen, während ich es irgendwie schaffe, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Um ungefähr 10:30 Uhr erreiche ich (tatsächlich nur wenige Minuten nach den anderen) dann endlich wieder das Häuschen am Parkplatz, an dem wir gestartet sind. Wir genehmigen uns ein paar Heißgetränke und ziehen uns, teils auf dem Parkplatz, teils im Auto, teils im Häuschen, irgendwie trockene Klamotten an. Gar nicht so einfach, Sarah ruft verzweifelt von der Rückbank des Wagens (frei übersetzt): "Ich krieg meine Hose nicht an, meine Beine sind zu nass. Dabei habe ich sie abgetrocknet. DREIMAL!!!" Währenddessen filmt Shane Alice dabei, wie sie Wasser aus ihren Schuhen kippt und ihre Socken auswringt. Es ist wirklich absurd, wie nass wir sind. Und nun frieren wir wirklich richtig.
Eine halbe Stunde später sitzen dann aber alle wieder halbwegs trocken in den halbwegs warmen Autos. Und nun trennen sich unsere Wege - während die anderen die Rückreise nach Dublin antreten, geht es für mich alleine weiter nach Killarney.

Dort hatte ich mir für heute ein Zimmer in einer Pension gebucht. In einem Touristenort wie Killarney an einem Feiertagswochenende (Montag ist in Irland "Bank Holiday") und kurz nach den Lockerungen der Corona-Beschränkungen eigentlich ein unmögliches oder unsagbar teures Unterfangen. Aber ich hatte super viel Glück und habe ein Einzelzimmer mit eigenem Bad für nur 60€ ergattert.
Da es eh noch viel zu früh ist und ich halb verhungere, hole ich mir ein Sub und esse es im Auto. Darin habe ich die Heizung auf 28° eingestellt und die Sitzheizung an. Ja, ich brauche das gerade! Und dann sende ich nochmal ein kurzes Dankesgebet gen Himmel, denn halleluja, obwohl ich zwei Stunden zu früh dran bin, kann ich schon in mein Zimmer. Ich würde dem Pensionsbesitzer glatt die Füße küssen, so sehr freue ich mich über diese Nachricht.
Im Zimmer lasse ich mehr oder weniger alles stehen und liegen und gehe gleich unter die Dusche, die ich für mich ungewöhnlich heiß einstelle und eine halbe Ewigkeit in vollen Zügen genieße. Von dort schlüpfe ich auf direktem Wege in das ebenfalls sehr bequeme Bett und hole erstmal gute zweieinhalb Stunden Schlaf nach.

Ich würde jetzt gerne sagen, danach fühle ich mich wie ein neuer Mensch, aber das wäre deutlich übertrieben. Ich friere nicht mehr und ich bin etwas wacher, bin aber immer noch ziemlich gerädert. Dementsprechend passiert auch nicht mehr allzu viel. Ich fahre ins Städtchen, das ich für eine gute Stunde erkunde, besorge mir was zu essen und Küchenrolle. Damit werden die komplett durchtränkten Schuhe (die inzwischen auch gewaschen sind) mehrmals ausgestopft. Für die nassen Klamotten nehme ich für 15 Minuten der Trockner an der gegenüberliegenden Tankstellte in Anspruch, danach verteile ich sie noch überall im Zimmer zum weiteren Trocknen.
Nach einer kleinen Dehneinheit mache ich dann um 9 Uhr das Licht aus und falle augenblicklich in einen komatösen Schlaf.